Biographie
1933 Irmtraud Morgner wurde am 22. August in Chemnitz (nach der Gründung der DDR in Karl-Marx-Stadt umbenannt) als einziges Kind ihrer Eltern geboren.
1952 Abitur
1952-56 Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft an der Universität Leipzig, u.a. bei Hans Mayer.
1956-58 Redaktionsassistentin bei der vom DDR-Schriftstellerverband herausgegebenen Zeitschrift Neue deutsche Literatur in Berlin. Seit 1958 lebte Irmtraud Morgner als freischaffende Schriftstellerin in Berlin.
1959 Veröffentlichung der ersten Erzählung "Das Signal steht auf Fahrt" (Aufbau-Verlag)
1962 Veröffentlichung des Romans Ein Haus am Rande der Stadt im Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar.
1964 "Notturno. Erzählung" wird veröffentlicht. Diese Erzählung gehört zu den frühen, in der DDR unter dem Etikett des "sozialistischen Realismus" rezipierten Werken, die Irmtraud Morgner später selber nicht mehr als Literatur anerkennt.
1965 Der Roman Rumba auf einen Herbst, der für dieses Jahr beim Aufbau-Verlag angekündigt war, wird nicht zur Veröffentlichung freigegeben. Irmtraud Morgner arbeitet große Teile davon später in Gestalt der "Intermezzos" der Melusinischen Bücher in den Trobadora-Roman (1974) ein.

"Rumba auf einen Herbst verarbeitet den Verlust naiver Glaubensinhalte, der im Gefolge der Eröffnungen des XX. Parteitages der KPdSU die junge Generation, und nicht nur sie, erschütterte... Es ist ein sehr aufrichtiges Buch, das auf Erfahrungen und festen Überzeugungen ruht.... Der Ton des Romans von 1964 nimmt ... jene skeptisch-lockere, dabie betont intellektuelle und grüblerische Tonart verweg, die zu Anfang der sechziger Jahre bei einer ganzen Kalvakade neuer Autoren in Mode kam." (Annemarie Auer)

"Die Erfahrung, das Manuskrit von Rumba auf einen Herbst nach ursprünglicher Zustimmung nicht gedruckt zu sehen, ist für Irmtraud Morgner äußerst folgenreich, zum Beispiel auch darin, daß sie sich viel stärker komischen und phantastischen Gestaltungsmittlen zuwendet, daß sie einen Lakonismus entwickelt, der vieles indirekt auszusprechen erlaubt." (Eva Kaufmann)

1967 Geburt des Sohnes David
1968 Hochzeit in Konstantinopel. Dieser kleine Roman bringt den ersten Durchbruch. 1969 erscheint die westdeutsche Lizenzausgabe beim Hanser-Verlag in München. Irmtraud Morgner hat ihr Thema und ihren Stil gefunden.

"Hochzeit in Konstantinopel zählt für mich als erstes Buch," sagt sie selbst.

"Mit den lockeren Beischlafgeschichten ihrer Hochzeit hat sich die Erzählerin freigeschrieben. Hier erlaubt sich eine, aus dem Objektstand in den des Subjekts zu treten." (Annemarie Auer)

1970 Gauklerlegende. Eine Spielfrauengeschichte, mit Fotos von Lothar Reher im Ostberliner Eulenspiegel-Verlag publiziert, nimmt das zuerst mit der Hochzeit aufgegriffene Motiv der Halbierung der Welt in eine männliche und eine weibliche wieder auf. 1971 folgt eine westdeutsche Lizenzausgabe beim Verlag Rogner & Bernhard in München.

"Liest man diese Erzählung mit iher irreführenden Phantastik, die alles auf den Koppf stellt und sich mit diesem Spiel selbst zum Spiel wird, dann gewinnt man den Eindruck, daß weibliche Emanzipation erst bis zur letzten Konsequenz vollendet sein muß, ehe Schriftstellerinnen wieder unbefangen Geschmack an der eigenen Rolle und ihre spielerische Gegensätzlichekeit zur männlichen Rolle finden können." (Anna Giachi)

1971 Erste Reise nach Paris, zusammen mit Paul Wiens, ihrem zweiten Ehemann.
1972 Die wundersamen Reisen Gustavs des Weltfahrers. Lügenhafter Roman mit Kommentaren. Eine westdeutsche Lizenzausgabe erschient 1973 beim Hanser-Verlag, München. Irmtraud Morgner setzt mit diesem Buch iher Chemnitzer Familie ein literarisches Denkmal. Als ihr zentrales Thema aber benennt sie: "Der Eintritt der Frau in die Historie."
1974 Nach längerer Verzögerung erscheint mit Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura, das opus magnum Irmtraud Morgners. Der Aufbau-Verlag hatte es sich und seiner Autorin schwer gemacht, das Buch herauszubringen, das sowohl durch seine "unerhörte Form" wie durch die Kühnheit der feministischen Position, durch seinen Witz wie durch seine Phantastik schockierte und nicht nur eine Alternative zum bürgerlichen Feminismus, sondern gleicherweise zum patriarchalischen Sozialismus anpeilt. "Die orthodoxe Romanform verlangt Festhalten an einer Konzeption über mehrere Jahre. Das kann, angesichts heftiger politscher Bewegungen in der Welt und einer ungeheuren Informationsflut, heute nur trägen oder sturen Naturen gelingen. Was ich anbiete, ist die Romanform der Zukunft. Die zum operativen Genre gehört.... Alle Wünsche des Verlags in Form von Zahlen, Streichungen und Zusätzen könnten berücksichtigt, alle Forderungen und Tonarten der jeweiligen Tagespolitik könnten eingearbeitet werden, ohne das Werk ernstlich zu verletzen. Der operative Montageroman ist ein unverwüstliches Genre.... Abgesehen vom Temperament, entspricht kurze Prosa dem gesellschaftlich, nicht biologisch bedingten Lebensrhythmus einer gewöhnlichen Frau, die ständig von haushaltsbedingten Abhaltungen zerstreut wird."

Im selben Jahr Reise in die Sowjetunion, zusammen mit Paul Wiens.

1975 Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR. Die Laudation hält Gerhard Wolf.
1976 Nachdem der Hanser-Verlag eine westdeutsche Lizenzausgabe abegelehnt hatte, erscheint die Trobadora Beatriz mit großem Erfolg im Luchterhand Verlag, Darmstadt/Neuwied, jetzt Luchterhand Literaturverlag Frankfurt am Main, wo in der Folge das gesamte Werk der Autorin in Lizenzausgaben verlegt wird. Die "Feministin der DDR", "die gegenwärtig phantasiebegabteste, fabuliersüchtigste Autorin deutscher Zunge", wird von der Kritik mit superlativem Lob bedacht und zu zahlreichen Lesungen in den Westen eingeladen.
1977 Wahl ins Präsidium des DDR-Schriftsteller Verbandes.

DDR-Nationalpreis

1983 Die Entwicklung in der DDR nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns, die Ereignisse in Polen zu Beginn der 80er Jahre und die Raketenbeschlüsse stellen Einschnitte dar, die sich in Leben und Werk Irmtraud Morgners wiederspiegeln. Nach längerer Krankheit veröffentlicht sie 1983 die Fortsetzung der Trobadora und als Teil 2 einer Salman-Trilogie den umfangreichen "Hexenroman" Amanda, in dem Laura Salman, die Spielfrau der Beatriz, eine Kulturrevolution zum Umsturz des männlichen Sinnsystems anzettelt.

"Die Komik der Laura-Geschichte entspringt der Suspendierung eines Realitätsprinzips, dessen Rationalismus blind ist für die irrationalen Winkel der Vernunft." (Sybille Cramer)

1984 Im Herbst zusammen mit Helga Schütz Reise in die USA zu Lesungen an verschiedenen Universitäten.
1985 Der Hroswitha-von-Gandersheim-Literaturpreis wird Irmtraud Morgner anläßlich der Buchmesse in Frankfurt am Main überreicht. Die Laudatio hält Gisela Lindemann.
1986 Teilnahme am Hamburger Frauenfestival
1987/88 Im Wintersemester Gastdozentin am Deutschen Seminar der Universtiät Zürich, wo Irmtraud Morgner schwer erkrankt. Im Frühjahr 1988 erste Operation in Ostberlin. Trotz Krankheit Weiterarbeit am dritten Teil der Salman-Trilogie.
1989 Zwei weitere Operationen folgen.

Im November Verleihung des Literaturpreises für grotesken Humor der Stadt Kassel in Abwesenheit der erkrankten Autorin. Die Laudatio hält Walter Jens.

1990 Am 6. Mai 1990 stirbt Irmtraud Morgner nach schwerer Krankheit in Berlin.

Die Grabrede hält Gerhard Wolf.


Nach Texte, Daten Bilder, Hrsg. Marlis Gerhardt (Frankfurt: Luchterhand, 1990), 83 - 90.